ERNSTE SPIELE
GEDANKEN ZUR ENTSTEHUNG MEINER ARBEITEN
von
Rudolf Höhenwarter
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Seit vielen Jahren wird mir immer mehr bewusst, wie sehr mich die Zeit an der Akademie in Wien geprägt hat.

Nach der Lehrerbildungsanstalt war es mein Ziel, Kunst- und Werkerzieher zu werden und so fing ich in einer der für Kunsterzieher vorgesehenen Klassen an. Nach drei Semestern wurde mir klar, dass es eine besonders angesehene Akademieklasse gab und zwar die Meisterschule von Prof. Sergius Pauser, der ob seiner noblen Farbpalette als Wiener Braque apostrophiert wurde.
Allerdings hieß es, er nehme nur zukünftige Maler in seine Klasse auf. So konzentrierte ich mich monatelang auf abstrakte Kompositionen, unter anderem malte ich "Kirchenfenster-entwürfe", inspiriert von Josef Mikl´s Betonglasfenstern in der Parscher Kirche und von Bildern meiner Lieblingsmaler aus Herbert Read´s Geschichte der Modernen Malerei. Als ich Ende des vierten Semesters Prof. Pauser diese Versuche zeigte, hatte ich großes Glück, er nahm mich "ausnahmsweise" in seine Klasse auf.

Als Besonderheit gab es bei Prof. Pauser "Hausaufgaben", wir sollten Bilder "erfinden", die dann jeden Mittwochvormittag von allen Studenten gemeinsam mit dem "Chef" und seinem phantastischen Assistenten Martin Polasek besprochen und kritisiert wurden. An diesem Tag wurden also zusätzlich zum künstlerischen Handwerk während der übrigen Woche, die zentralen Fragen der Kunst erarbeitet.
Dieser Mittwoch war der für alle weit-aus ergiebigste Tag der Woche, mit seiner Ideenbörse, der Schulung der Kritikfähigkeit und dem Lernen voneinander. Da ich unter anderem mit Karl Korab, Kurt Kocherscheidt, Wolfgang Herzig, Peter Blaas, Reimo Woukonig, Peter Sengel und Gottfried Salzmann in der Klasse war, aber auch an gemeinsamen, von der Hochschülerschaft organisierten Malerwochen in Malinska auf der Insel Krk teil nahm, zehre ich bis heute von diesen frühen Anregungen und Erlebnissen.

Sehr geprägt haben mich auch meine fünf Jahre auf der Salzburger Sommerakademie, nach dem letzten Kurs von Oskar Kokoschka besonders die intensive Begegnung mit Kurt Moldovan, Christoph Donin und Johnny Friedländer.
Auch das Kennenlernen der Bilder der Meister der Moderne, das nach der Eröffnung des Museums des 20. Jahrhunderts während meines Studiums in Wien möglich wurde, füllte meinen "Kunsterinnerungs- bzw. Formenspeicher". Bald habe ich mich nicht mehr gewundert, dass, wenn eines meiner Bilder allmählich fertig wurde, ich mich unbewusst einem der großen Vorbilder genähert hatte, auch wenn es nur Einzelformen waren.

Bald nach der Akademie erkannte ich, wie entscheidend die Methoden des Machens und die speziellen Möglichkeiten der verwendeten Materialien beim Bilderfinden sind. Ein Beispiel für geradezu ein "Nacherfinden" einer Richtung sind meine "gläsernen" Bilder. Da ich schon während des Studiums mit geometrischen Flächenbausteinen spielte, die bald durch Übereinanderschichten lasierender Farben Raumtiefe bewirkten bzw. verschränkte sich die Architektur des Vordergrundes mit dem Landschaftshintergrund und schräge Flächen ergaben Facetten wie bei einem Kristall, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich mich in die Gefilde der Orphisten gemalt hatte. Immerhin waren diese Bilder meine "Eintrittskarte" zur Gruppe 73, der "Ober"- Liga im Salzburger Kunstverein, einer Gründung der Maler Ober und Otte, der sozusagen die Abstrakten im KV angehörten.

Als Zeichenlehrer musste ich nie von meiner Kunst leben, ich konnte es mir leisten, zum Vergnügen, aber auch zur Erholung von der Schule und zur Vorbereitung für die Schule zu malen und dabei dem Spielerischen viel Raum zu geben. Zudem bestätigte mich die in meiner Anfangszeit als Lehrer beliebte deutsche Fachbuchreihe "Das Spiel mit den bildnerischen Mitteln". Jahre später entdeckte ich in den Selbstzeugnissen Paul Klee´s bezüglich der Entstehung vieler seiner Werke die Formulierung "ernste Spiele". Also gleich zwei meiner Lieblingsmaler haben mit einem Charakteristikum der modernen Kunst zu tun, denn der Name von Max Ernst steckt ja in Paul Klee´s Formulierung drinnen.

Das Reizvollste an ernsten Spielen sind oft die Spielregeln, die man selbst erstellt, auch wenn man ein Spiel von einem guten Freund übernimmt. So habe ich etwa in der Zeit der Gruppe 73 von Walter Brendel das Farbfelder-Spiel übernommen und neue Regeln er-stellt. Das Farbfelderspiel war auch ein beliebtes Malthema in der Oberstufe am Gymnasium, hatte man doch fast unerschöpfliche Möglichkeiten, bewusst persönlichen Vorlieben zu folgen. Festgelegt waren nur die Größe und Anzahl der quadratischen Felder, vergleichsweise mit einem Setzkasten, in den man persönliche Kostbarkeiten unterbringt.

Meine besonderen Lieblingsspiele zur Themenfindung sind jedoch die bekannten Metho-den der Surrealisten, insbesondere die automatischen Schreibweisen, die der großartige Max Ernst angewendet hat, um den weißen Grund des Bildträgers zu überwinden: die Frottage und ihre Umkehrform die Grattage, aber auch die Decalcomanie und der Sanddruck, kombiniert mit den "tanzenden Fäden". Der Zufall bzw. der gelenkte Zufall ergibt den Zündfunken für die Phantasie, die Logik aus der Wahl der jeweiligen Werkzeu-ge die typische Rhythmik. Also wird das Ergebnis einer Grattage ohne wie bei Max Ernst untergelegte Materialien durch die jeweilige Breite der Spachtel und ihre Scharfkantigkeit bestimmt. Die emailartig kompakte und glänzende Farbwirkung kommt durch die Mischung der Farben mit Kleister zustande.
Als Beispiel erkläre ich das Bild "Der große Brummer kurz vor dem Start". Dort, wo die dunkelblaue Kleistergrundierung nach dem Trocknen und erneutem Anfeuchten weggeschabt wurde, kamen die hellen Untermalungen wieder zum Vorschein und so entstand das Fabelwesen des riesigen Luftschiffes in Garnelen-Käfer-Hahnform mit der noch offenen, großen Ladeluke und den bereits eingeschalteten Positionslichtern, also kurz vor dem Abheben. Die Positionslichter sind kreisförmig vertieft, denn der Wassertropfen, der auf den kompakten dunklen Kleistergrund aufgetupft wurde, ließ sich exakt mit der weichen Farbe wegschaben. Alle ausgeschabten Teile sind zuletzt neuerlich verschieden eingefärbt worden.
Eine besonders inspirierende Technik ist die Ecriture automatique des Surrealisten Andre´ Masson. Er bediente sich in verdünnten Leim getauchter Bindfäden, die er auf dem Papier "tanzen" ließ und feinen Sandes, der auf den zufälligen Leimspuren anklebte.

Durch meine Grattagen-Spiele bin ich weiter zum Freilegungs-Spiel gekommen. Innerhalb von Negativschablonenformen "grabe" ich nach "alten Schätzen" unter den Überma-lungen von verworfenen Farbkompositionen, d.h. ich wasche innerhalb der Schablonen mit dem Schwamm die Übermalungsschicht ab und komme zu "vergessenen Farbformen", die zur Neugestaltung einladen.

Die Frage nach der Schönheit eines Bildes stellt sich mir jedes Mal, wenn ich die herrlichen heute zur Verfügung stehenden Farben aussuche, da gibt es die traditionellen phantastischen Erdfarben wie terra pozzuoli oder caput mortum, wunderbar durchsichtige Farben wie Indischgelb oder Coelinblau und geheimnisvoll dunkle Töne wie Indigo und Delftblau. Immer wieder kommen auch neue schöne Töne dazu, etwa Kobaltcoelin oder Kobaltgrün türkis. Nicht mehr im Angebot ist eine der schönsten Farben, die ich kenne, nämlich Smaragdgrün, da durfte man den Pinsel zum Anspitzen nicht in den Mund nehmen, die Farbe war aus Arsen und wie ich mich nach einigen Magenkrämpfen zum Glück erinnerte, war auf der Hülle der Farbe ein Totenkopf.

Das Spiel mit Farbklängen beim Malen führt immer wieder zu Bildtiteln, die beim Malen gehörte Musik benennen, auch wenn wer anderer etwa die Klavierphantasien eine Keith Jarrett in anderen Farben hören mag. Paul Gauguin sagte einmal über Paul Cezanne: "Er spielt beständig auf der großen Orgel, was mich sagen lässt, dass er polyphon sei". Diese Musikalität der Farben abstrakter Kompositionen bleibt auch für die Zukunft eines meiner wichtigsten Ziele.

Rudolf Höhenwarter

© Rudolf Höhenwarter